timte.org Genügsamkeit, Technik und Dada

[work in progress]

Fragen, Feedback, Kommentare? Gerne:

hallo (ät) timte (punkt) org (PGP key)



Gesellschaftspolitische Aspekte von Gestaltung
hinsichtlich beschränkter vs. freier Nutzbarkeit von Ideen


Ein kleines Essay (pdf)

2.2019 CC BY-SA 4.0 International timte.org





Inhalt:

1 Vorbemerkung

2 Einführung: Der Einfluss der Gestaltung. Der Einfluss auf Gestaltung

3.1 Gestaltung – ein freier Prozess

3.2 Beschränkung des Austauschs und Durchbrechung der Beschränkung

3.3 Alternative Modelle: Allmende, Gemeingüter, Commons

4 Quellen und weiterführende Literatur





1 Vorbemerkung

Meine ursprüngliche Idee mit dieser Arbeit war, am Beispiel des Regalsystems „String“ der schwedischen Gestalter Kajsa und Nils Strinning (heute (2019) vertrieben von „string furniture ab“) und dessen leichter Kopierbarkeit, die Thematik freien Designs zu illustrieren.
Die damals vertreibende Firma String AB hatte von Beginn der 1950er Jahre bis 1961 gerichtliche Patentstreitigkeiten, da das bestechend einfache Konstruktionsprinzip des Regals vielfach kopiert wurde. Auch heute noch ist dieses Konstruktionsprinzip vielen Menschen schon begegnet. Ich finde nun die Frage spannend, wie das Potential eines so genial einfachen Konstruktionsprinzips, das offenbar danach schreit nachgeahmt zu werden, genutzt werden könnte. Und es nicht durch Vorschriften künstlich zu beschneiden.
Leider habe ich eine für mich umfänglich befriedigende Antwort darauf noch nicht gefunden. Die Alternativmodelle zu Patenten und Einhegung von Wissen sind zum Teil sehr weit vom gewohnten und tief verinnerlichten Denkmodell entfernt. Dadurch fällt es oft nicht leicht, sie zu akzeptieren. Und die erlernten Reaktionen um den Status Quo zu erhalten, setzen ein und verteidigen das System, das angeblich Konkurrenz zur Innovation und Schutz von geistigem Eigentum zur Refinanzierung braucht. Selbst wenn die großen Schwächen des vorherrschenden Systems offenbar werden.

Bei der Beschäftigung mit dem Thema wurde mir allerdings immer mehr klar, dass mein Interesse sich von einer Anwendung und Besprechung dieses konkreten Falls „String“ weg entwickelt hat, zu den allgemeinen Hintergründen einer freien Gestaltung und dem Wert gemeinsam genutzter vs. eingehegter Ideen.
Diese Arbeit ist also nun eine Annäherung an eben jene Hintergründe.
Inwiefern diese auf jedes beliebige durch ein Copyright oder Patent geschützte Werk anwendbar sind, erschien mir zu banal um die ursprüngliche Idee der Arbeit weiter zu verfolgen und die allgemeine Thematik weitaus interessanter.



2 Einführung: Der Einfluss der Gestaltung. Der Einfluss auf Gestaltung

Die Gestaltung unserer Umgebung, ob durch andere oder uns selbst, hat grundsätzlich Einfluss auf unser Leben und unseren Alltag. Die grundlegendste Ursache dafür besteht in der Tatsache, dass wir als Menschen physische Wesen sind, die also zwangsläufig in Interaktion stehen mit ihrer physischen Umgebung. Je aktiver diese Interaktion, also je unmittelbarer der Mensch ein Objekt zum Gegenstand seiner Handlung macht, desto größer ist der Einfluss der Gestaltung des Objektes. Oder einfacher und weniger allgemein formuliert: je näher uns ein Alltagsgegenstand, je häufiger er genutzt wird, desto einflussreicher wird seine Gestaltung.
Umgekehrt gilt dasselbe. Gegenstände, die eine regelmäßige Nutzung erfahren, werden entsprechend so gestaltet, dass diese Nutzung erleichtert ist. Ist sie erschwert, wird die Gestaltung angepasst.
Handwerkzeuge verdeutlichen das sehr anschaulich. Sie sind derart ausgestaltet, dass ihre Nutzung möglichst leicht fällt, sind ergonomisch, also der körperlichen Belastung angepasst. Sie werden so zur Erweiterung der physischen Möglichkeiten des Körpers – das ist ihr Zweck – und sobald sich eine Form von Routine einstellt, fast zum Körperteil, prothesenartig. Natürlich bestimmt ihre physische Ausgestaltung gleichzeitig ihre Nutzung. Diese Ausgestaltung bleibt aber ein Produkt der Möglichkeiten, es mit einem menschlichen Körper zu verwenden. Menschlicher Körper und Gestalt(ung) des Werkzeugs sind untrennbar voneinander abhängig.
Ein Werkzeug ist ein Objekt, ein Gerät zur Herstellung eines Werkes. Das Wort „Werk“ wiederum, ist etymologisch verknüpft mit dem Verb „wirken“ [1]. Es zeichnet uns als Menschen aus und grenzt uns vom Tierreich ab, in welchem Maße wir uns Werkzeuge bedienen um unsere Umwelt und unseren Lebensraum zu gestalten, auf ihn wirken. Betrachten wir Werkzeuge als Mittel eine Wirkung auf unseren Lebensraum zu erzeugen, als Prothese und Hilfsmittel unsere körperlichen Gegebenheiten zu erweitern und unsere Lebensumstände (komfortabler) zu gestalten, lässt sich fast jegliches menschliche Erzeugnis als Werkzeug betrachten. Bis hin zu Kunst und kulturellem Werk, das uns als Hilfsmittel zur Reflexion dient.
Der von uns Menschen gestaltete Lebensraum und seine Objekte könnten also als beides bezeichnet werden, als „Werkzeug“, sowie als „Werk“, „Wirkung“. Als bewirkt, sowie als bewirkend.

[1] Friedrich Kluge: Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache, 23. Aufl., de Gruyter Berlin, New York 1999



3.1 Gestaltung – ein freier Prozess

Dass wir als Menschen in der Lage sind, unsere Umgebung verglichen mit dem Tierreich in außerordentlich differenziertem Maße zu gestalten, ermöglicht uns, unsere angelegten physischen Begrenzungen in vielerlei Hinsicht zu überschreiten. Von der Entwicklung von Kleidung und menschlich geschaffener Behausung (die noch ein Äquivalent im Tierreich hat) und somit Schutz vor Temperatur- und Wettereinflüssen, bis hin zu Kräfteverstärkern, Kommunikations- und Transportmitteln und der Entwicklung metaphysischer, intellektueller Werke, die wiederum zur Inspiration oder gar Grundlage physischer Werke werden.
Dabei sind vorherige Erfindungen fast immer der Ausgangspunkt weiterer Entwicklung. Entweder, weil sie als Werkzeuge, als prothesenartige Erweiterung der physischen Möglichkeiten notwendige Voraussetzung sind, ohne die die Herstellung des Neuen unmöglich wäre. Oder aber, weil sie eine intellektuelle Inspiration oder sogar Basis darstellen, die erst die notwendigen Gedanken zur Planung und Schaffung des Neuen in Gang gesetzt haben.
Grundlagen in diesem zweiten Sinne müssen nicht zwangsläufig in sich schlüssige und fertige Entwicklungen sein.
Als anschauliches Beispiel sei Literatur, Kunst oder Musik genannt: neue Werke entstehen nicht aus einem luftleeren Raum; diejenigen, die ein neues Werk schaffen, haben eine persönliche Entwicklungsgeschichte. Selbst in jungem Alter haben sie in ihrem bisherigen Leben viele Erfahrungen gemacht, Eindrücke und Einflüsse unterschiedlichster Art aufgenommen, was sie nicht zuletzt zu den einzigartigen Personen machen, die sie jeweils sind. Diese Dinge und Erlebnisse, die sie erfahren und geprägt haben, sehen sie aus ihrer jeweils sehr individuellen Perspektive, die sie zu unterschiedlichsten Reaktionen auf das erlebte bringen kann. Ich möchte nicht die Behauptung aufstellen, Menschen seien das Produkt ihrer Umstände. Ich verweise darauf, dass wir Wissen und Erfahrung benötigen, um Neues zu entwickeln. Und dieses Erfahrungen sind meiner Ansicht nach höchst granular. Lesen gelernt zu haben mag eine wichtige Notwendigkeit für die Entwicklung eines neuen Werkes sein, aber selbst das kleinste Erlebnis kann im Gesamtzusammenhang des Erlebten eine Bedingung darstellen, da erst dies zu jener Verknüpfung und Erkenntnis führt, die die Entstehung eines neuen Werkes ermöglicht.
Daraus ergibt sich, dass ein reger Austausch und eine große Freiheit von Ideen und Gedanken der fruchtbare Boden sind dessen es bedarf, um eine blühenden Entwicklung neuer Ideen und Werke zu ermöglichen.

„Wissensökologie kann [...] definiert werden als der nachhaltige Umgang mit Wissen und Information. Dafür muss »Nachhaltigkeit« erweitert oder gar anders bestimmt werden. Wissen verbraucht und erschöpft sich nicht im Gebrauch. Ganz im Gegenteil, je mehr es genutzt wird, desto mehr nutzt es vielen Leuten, und desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass sich aus Wissen Innovationen, neue Produkte und Dienstleistungen entwickeln und dass neues Wissen aus existierendem entsteht.“ [2]

[2] Rainer Kuhlen: Wissensökonomie und Wissensökologie zusammen denken, in [Helfrich 2014, S.406f]



3.2 Beschränkung des Austauschs und Durchbrechung der Beschränkung

Das heute verbreitete Modell und die aktuelle Rechtslage besteht darin, Werke und / oder das Wissen um deren Herstellung als „Geistiges Eigentum“ zu „schützen“, oder, um einen anderen Begriff zu verwenden, von Austausch auszuschließen oder diesen zu begrenzen. Es gibt eine Vielzahl an „Schutzrechten“ wie Patente, Copyright oder das deutsche Urheberrecht. Die Bezeichnung des „Schutzes“ bezieht sich dabei in der Regel auf die / den zu schützenden Schöpfer*in [3, 4] vor anderen, die sich das betreffende geistige Werk – eine Idee – ohne „Schutz“ reproduzieren und verkaufen könnten und somit mit dem / der zu Schützenden konkurrieren würden.
Dieses Modell stellt also eine bewusste Beschränkung der Austausches dar, der wie dargelegt wesentlich ist für die Entstehung von neuen geistigen Werken.
Eine weitere und womöglich die wesentliche Problematik besteht im Denkmodell, das damit verknüpft und tief mit unserem Selbstverständnis von Eigentum verbunden ist. Von klein auf lernen wir dieses Modell als selbstverständlich kennen, da es sich natürlich auch im Lebensbereichen der Kinder findet. Als Positivbeispiel sei hier das Projekt „Free Universal Construction Kit“ genannt, das dieses Prinzip durchbricht:

„[...]Lego, Duplo oder Fischertechnik [...] jedes dieser [Baukasten]systeme [ist] in sich geschlossen - wer weiterbauen will, muss neue, lizensierte Teile vom selben Unternehmen kaufen. So werden Kinder früh mit der dem Kapitalismus eigenen Markt- und Markenlogik vertraut gemacht. Das Free Universal Construction Kit [...] unterwandert diese Prinzipien mit spielerischen Mitteln: Verbindungsstücke für zehn verschiedene Systeme ermöglichen unzählige neue Figuren.“ [5]
(Anm.: die Teile werden mittels kostenlos herunterladbaren Plotdateien im 3D Drucker hergestellt und sind teil des „3D Additivist Cookbook“, in dem über 100 KünstlerInnen und Aktivisten zur kritischen Verwendung mit 3D Druckern anregen.)

Patente dienen außerdem häufig nicht dazu Innovation zu refinanzieren, wie David E. Martin schreibt [6]: „Vielmehr wird dieses Ziel vor allem durch die öffentliche Förderung wissenschaftlicher Forschung und durch Verträge mit Industrieunternehmen erreicht.“ Er fügt hinzu (wie auch Kuhlen in [2], und Helfrich in [7]), dass Patente häufig statt zum Schutz oder zur Refinanzierung von innovation zum Schutz vor Konkurrenten, die Alternativprodukte anbieten könnten, eingesetzt werden, die patentierten Entwicklungen also gar nicht verwirklicht werden. Dass zum Beispiel die Ölkonzerne „tausende Patente“ zur Nutzung regenerativer Energien und alternativer Antriebe besitzen.[6]

„Seit Jahrzehnten haben politische Entscheidungsträger auf beiden Seiten des Atlantiks ein völlig unbegründetes Axiom aufgestellt; demnach sind Instrumente des Eigentumsrechts erforderlich, um Innovation und Entwicklung zu stimulieren. Sie haben die Idee verbreitet, Gesellschaften könnten nur dann technologisch innovativ sein, wenn sie die Kreativität der Menschen einschränken und deren geistige Schöpfungen in eigentumsrechtlich definierten Formen horten: insbesondere in Form von Patenten. Dieser Glaube ist von der World Trade Organization (WTO), der World Intellectual Property Organization (WIPO), durch Politiken und Gesetze zur Wettbewerbsfähigkeit sowie durch einen falschen Entwicklungsbegriff aggressiv in Umlauf gebracht worden.“[6]

[3] https://de.wikipedia.org/wiki/Verwandte_Schutzrechte (aufgerufen 22.2.2019)
[4] Dreier/Schulze, Urheberrechtsgesetz, 6. Aufl. C.H. Beck 2018, Vor §§ 70 ff
[5] Arch+ 232 „An Atlas of Commoning - Orte des Gemeinschaffens“, Arch+ Verlag GmbH Aachen, 2018, S.9 Golan Levin et al. Free Universal Construction Kit ; sowie: https://additivism.org/cookbook (aufgerufen 22.2.2019)
[6] David E. Martin: Innovationen emanzipieren - Global Innovation Commons, in [Helfrich 2014, S.378ff]
[7] Silke Helfrich: Das »Betriebssystem« der Commons Version 0.5, in [Helfrich 2014, S.67]



3.3 Alternative Modelle: Allmende, Gemeingüter, Commons

Die Geschichte der Allmende ist uralt. Immer schon nutzen Menschen zur Deckung ihrer Lebensgrundlagen gemeinsame Ressourcen. Heute sind zwar viele Güter und Ideen privatisiert und nicht frei nutzbar, aber auch heute noch gibt es Gemeingut in diesem Sinne.
Und es gibt zunehmend Modelle die das Prinzip umdrehen, hin zu einem Modell offenen Teilens von Wissen. Diese folgen den beschriebenen Logiken und Grundlagen zur Schaffung neuer Werke. Die freie Software und Ihre Lizenzen wie die GNU General Public License (GPL) [8] und die verschiedenen Creative Commons Lizenzen [9] sind Beispiele für zeitgenössische Modelle die seit den 1980er Jahren entwickelt wurden.
Bekannte Projekte wie GNU/Linux, die Wikipedia aber auch Möbeldesigner wie Ronan Kadushin [10] und Entwickler freier Projekte wie des Open Source Ecology Netzwerks [11], oder das Arduino Projekt [12], sind einige von vielen Beispielen, in welche Richtung es weitergehen könnte.

[8] https://www.gnu.org/licenses/gpl-3.0.html (aufgerufen 22.2.2019)
[9] http://de.creativecommons.org/ (aufgerufen 22.2.2019)
[10] https://www.ronen-kadushin.com (aufgerufen 22.2.2019)
[11] https://opensourceecology.org/ (aufgerufen 22.2.2019),
https://www.ted.com/talks/marcin_jakubowski#t-18355 (aufgerufen 22.2.2019),
https://www.youtube.com/watch?v=S63Cy64p2lQ (aufgerufen 22.2.2019)
[12] https://www.arduino.cc/ (aufgerufen 22.2.2019)



4 Literatur- und Quellenverzeichnis

kontakt